Ebbes aus Hohenlohe
Bilder zeigen Aspekte des Menschseins

Bilder zeigen Aspekte des Menschseins

Der Gerabronner Künstler Jörg Hartnagel stellt im Sandelschen Museum in Kirchberg aus. Seine gemalten Zeichnungen sind expressiv beeindruckend.

„Ich verstehe mich als Zeichner, auch wenn ich viel mit dem Pinsel arbeite“, formuliert Jörg Hartnagel sein Selbstverständnis. Im herkömmlichen Sprachgebrauch sind seine Bilder allerdings keine Zeichnungen. Er greift zum dicken Pinsel oder zur Farbwalze, manchmal auch zur Zeichenkohle, und kommt mit wenigen Farben aus – meist Schwarz, Grau, Rot und einem weiteren Akzentton. Damit skizziert er menschliche Köpfe und Oberkörper. Die Bilder sind immer berührend und expressiv. „Sie haben manchmal eine schwere Geburt, manchmal eine leichte“, erzählt er. Die „Zeichnungen“ der Kirchberger Ausstellung, die zwischen 2023 und 2025 entstanden sind, haben keinen Titel, sondern nur eine Nummer. Auch eine Bewegung oder ein Thema ist in ihnen nicht zu erkennen, sie sind einfach da. Jörg Hartnagel drückt es treffend aus: „Das Dasein kommt vor dem Sosein“.

Jörg Hartnagel, geboren 1949 in Ulm, lernte das Zeichnen bei Alfred Hrdlicka in Stuttgart. Hinzu kam ein Studium der Kunstgeschichte. Anschließend war er von 1978 bis 2013 als Kunstlehrer an verschiedenen Gymnasien in Crailsheim tätig. Seither ist er nur noch mit freien Arbeiten beschäftigt. Er ist Mitglied des Hohenloher Kunstvereins und lebt in Gerabronn-Morstein. Für den Künstler gibt es eine wichtige Verbindung zwischen seinen Arbeiten und der Erinnerung: Er ist der Neffe von Sophie und Hans Scholl. Diese prägende Familiengeschichte schwingt in jedem seiner Bilder mit.

Der Gerabronner Bildhauer Franz Raßl, ebenfalls ein Schüler Hrdlickas, führte in das Werk ein. Er wies zunächst auf das Offensichtliche hin: Jörg Hartnagel arbeitet nicht auf einem einfachen Hintergrund, sondern er grundiert ihn zuvor mit reinem Weiß. Dazu kämen wenige Farbtupfer, die Franz Raßl an ein Prisma erinnern, „das Sonnenlicht in reinster Schönheit an eine Winterwand wirft“. Die Figuren, Köpfe und Torsi hätten alle ihre eigene, von der Familiengeschichte geprägte Wirklichkeit. So ist für den Laudator auch klar, dass Jörg Hartnagel in die Klasse von Hrdlicka ging, der die NS-Zeit in seinen eigenen „extrem expressiven“ Steinskulpturen und Handzeichnungen verarbeitete. Doch der Österreicher sei kein Pädagoge gewesen, „sein Werk ist der Lehrer“, betonte Franz Raßl.

Hartnagels Bilder kämen also von ganz innen, sie seien Sedimente. „Schichten, die sich im Leben bilden, bei jedem von uns.“ Damit sie zum Vorschein kommen, bedürfe es eines einzigen Impulses von außen, eines Wortes oder eines Bildes. „Und zack, sind diese manchmal uralten Bilder da“, erklärte Franz Raßl. „Das Werk entsteht während dem Tun, durch das Tun.“ Im übertragenen Sinn habe er als Bildhauer an Versteinerung gedacht: „Jörg Hartnagels Werke sind menschliche Fossilien.“ Die verschiedenen Schichten seien verschüttet und zugedeckt. Andere Lasten legten sich darüber. Dadurch würden sie sich manchmal verändern, „tektonische Kräfte zermalmen sie“. Jörg Hartnagel spaltet diese Funde auf, legt sie frei und interpretiert sie. „Mit etwas Glück zeigen sie uns ein Stück Menschsein“, sagte Franz Raßl.

Als Mensch ist Jörg Hartnagel eher zurückhaltend und bescheiden. Als Lehrer hat er seinen Schülerinnen und Schülern viel Freiheit gelassen, aber er war nicht beliebig, wie Franz Raßl berichtete. „Freiheit heißt frei von Rezepten und Vorschriften. Er ließ sie machen, arbeiten.“ Hin und wieder legte er den Finger auf eine Stelle im Bild und zeigte so, wo noch nachgearbeitet werden musste. th

Bild oben: Jörg Hartnagel vor einer der wenigen Arbeiten (links), die aus einem konkreten Anlass entstand: dem Tod des Bruders.

Zur Info:

Die Ausstellung mit Werken von Jörg Hartnagel ist noch bis zum 27. Juli 2025 im Sandelschen Museum in Kirchberg an der Jagst zu sehen. Öffnungszeiten: Sonn- und Feiertags 14 bis 17 Uhr. Am 18. April 2025 (Karfreitag) bleibt das Museum geschlossen.

Ähnliche Beiträge:

„Was genau passiert, bleibt offen“

Redaktion

Da steckt viel Liebe drin

Redaktion

Der goldorangene Kürbis

Redaktion