Ebbes aus Hohenlohe

Anker für geflüchtete Kinder und Jugendliche

Im Schulzentrum in Blaufelden unterrichtet eine ukrainische Lehrerin derzeit 18 Kinder und Jugendliche aus ihrer Heimat. Ziel ist es, den Leistungsstand bis Ende des Schuljahres zu ermitteln. 

Nadiia Andriushchenko hat einen langen Weg hinter sich: Als sie Anfang März mit ihrer neunjährigen Tochter in Blaufelden eintraf, hatte sie rund 2500 Kilometer mit Autos und der Eisenbahn zurückgelegt. Aus dem Krieg in ihrer Heimat Mykolaiv (Süd-Ukraine) kam sie über Budapest, München und Würzburg nach Blaufelden. Hier leben Verwandte von ihr, sie war als Zwölfjährige schon einmal in Hohenlohe. Ihr Mann fährt zur See und ist derzeit in Chile. Seit Anfang April arbeitet sie mit einem Deputat von zwölf Wochenstunden als Lehrerin am Schulzentrum in Blaufelden.

„Es war schon eine bedrückende Situation, als die zwischenzeitlich 18 Kinder und Jugendlichen bei uns ankamen“, erzählt Rektorin Dorothea Seth-Blendinger von den ersten Tagen. Sie seien von ihrer abenteuerlichen Flucht emotional gezeichnet gewesen. „Die meisten waren ruhig, ernst, in sich gekehrt.“ Die sieben bis 18 Jahre alten Schülerinnen und Schüler sollten zunächst einmal an der Schule und in der für sie komplett neuen Situation ankommen. „Wir wollen ihnen hier so etwas wie Normalität bieten“, beschreibt die Rektorin die Überlegungen. Zunächst sind sie in den Räumen der Ganztagesschule untergebracht: Hier gibt es Gesellschaftsspiele, Bauklötze, Puppen und Autos, um sich abzulenken und die schrecklichen Erlebnisse in der Ukraine etwas zurückzudrängen. „Frau Andriushchenko soll der Anker für die Schülerinnen und Schüler sein.“

Die Kinder und Jugendlichen haben, soweit sie schon in ihrer Heimat schulpflichtig waren, ein hohes Bildungsniveau. Nach und nach nehmen sie am Unterricht der gleichaltrigen Schülerinnen und Schüler teil – vor allem in Musik, Kunst, den naturwissenschaftlichen Fächern und in Sport. Einige Einheimische, die russisch können, sind ihre Paten, „eine Aufwertung für die Kinder“, macht die Rektorin deutlich. Nachdem sie in der Ukraine meistens schon Englisch hatten, in vielen Schulen wird das Fach ab der ersten Klasse unterrichtet, kennen sie die lateinische Schrift und können sich zumindest halbwegs auf Englisch verständigen. Damit sie aber auch die deutsche Sprache lernen, soll eine zusätzliche Lehrerin an die Schule kommen.

Nadiia Andriushchenko lehrte in der Ukraine die Landessprache und Literatur, sodass sie den Kindern und Jugendlichen in Blaufelden vor allem landeskundlichen Unterricht erteilt. Die Schülerinnen und Schüler sollten aber so schnell wie möglich in die Regelklassen integriert werden, betont Dorothea Seth-Blendinger.

Von Anfang an versuchen die Blaufeldener Lehrerinnen und Lehrer den geflüchteten Schülerinnen und Schülern offen und freundlich gegenüberzutreten. So wurde schon schnell der deutsch Satz „Wie geht es Dir?“ mit einem nach unten, zur Seite oder nach oben gereckten Daumen beantwortet. „Wir wollen den Kindern und Jugendlichen empathisch begegnen und sie in unseren Alltag einbinden“, verdeutlicht die Rektorin. Viele der zunächst schweigsamen Schülerinnen und Schüler lachen zwischenzeitlich. „Wir müssen sie aber weiterhin genau beobachten, denn möglicherweise vorhandene Traumata sind einfach nicht wegzulächeln.“ Sollten sie damit nicht selbst zurechtkommen, könnte die Schulsozialarbeiterin eingreifen.

Zu Beginn gab es eine ganz Reihe von kleineren Problemen zu lösen, erzählt Nadiia Andriushchenko. So mussten die Namen beispielsweise zunächst einmal aus der ukrainischen Schrift in die lateinische „übersetzt“ werden. Die Kinder und Jugendlichen hatten dann ein Blatt Papier mit ihren beiden Namen bekommen.

Die Schule hier sei ganz anders als in der Ukraine: „Schöne Gebäude, ruhige Schülerinnen und Schüler, es herrscht ein vertrauter Umgang miteinander.“ Schon auf dem ersten Blick gehe es in Blaufelden viel lockerer zu, es fehlen die strengen Uniformen. Auch der Unterricht sei nicht ganz so frontal und sehe kommunikative Element vor. An ihrer alten Schule, so berichtet Nadiia Andriushchenko, gäbe es keinen Schulhof für die Pause, „alle Kinder bleiben im Gebäude und spielen darum auch nicht miteinander“.

Die ukrainischen Schülerinnen und Schüler haben sich gefreut, dass sie zu Beginn Hefte und Schreibutensilien bekamen und auch einen von der Wiesenbacher Firma Bosch finanzierten Rucksack. Sie fühlen sich in der Blaufeldener Schule sehr wohl, erzählt die Lehrerin, sie würden gerne hier bleiben. Ziel der nächsten Monate sei es aber, beschreibt Dorothea Seth-Blendinger, den Leistungsstand der Kinder und Jugendlichen ganz ohne Klassenarbeiten und Leistungsdruck zu ermitteln. „Wir wollen wissen, wohin wir sie im nächsten Schuljahr schicken sollen. Bleiben sie hier? Gehen sie aufs Gymnasium oder in eine berufliche Schule?“ Sie sollen entsprechend ihrem Vorwissen bestmöglich gefördert werden.

Auch Nadiia Andriushchenko wird in den nächsten Wochen wieder die Schulbank drücken, dann beginnt ihr eigener Integrationskurs und sie wird Deutsch lernen. th

Foto: Die älteren Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine sind gut am Schulzentrum in Blaufelden angekommen und haben wieder etwas zu lachen. Das freut besonders Nadiia Andriushchenko (hinten links) und Rektorin Dorothea Seth-Blendinger.

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