Ebbes aus Hohenlohe

Das Deutschland-Ticket zwischen gut gemeinter Theorie und harter Realität

Mit dem 49-Euro-Ticket will die Bundesregierung mehr Menschen dazu bringen, den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen. Doch nicht für alle Pendler bringt das Monatsabo Vorteile – vor allem dann, wenn die Verbindungen schlecht sind.

„Heute machen wir Schluss mit kompliziert und anstrengend, Schluss mit Rätselraten vor einem Ticketautomaten, Schluss mit Fragen nach Waben, Stufen, Kreisen, Schluss mit der Überlegung: Liegt mein Ziel überhaupt noch in meinem Tarif, oder brauche ich ein anderes oder ein Zusatzticket?“ Mit diesen Worten warb Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) bei der Bundestagsdebatte Mitte März für die Einführung des 49-Euro-Tickets. „Was wir heute beschließen, hat das Zeug, die Geschichte des öffentlichen Personennahverkehrs neu zu schreiben.“

Die Vorteile sprechen auf den ersten Blick für die Fahrkarte, die auch Deutschland-Ticket genannt wird: Für nur 49 Euro im Monat kann man mit Regionalzügen, S-Bahnen, Straßenbahnen und Bussen durch ganz Deutschland reisen. Im Vergleich zu den regulären Tarifen ist das Ticket oft die günstigere Option. Es ist flexibel, da es nicht an eine bestimmte Kombination oder eine bestimmte Zeit gebunden ist. Die Reisenden können also spontan losfahren und ihre Pläne jederzeit ändern, ohne zusätzliche Kosten zu haben.

Auch für die Arbeitspendler soll das Ticket Vorteile bringen: Katrin Hameister aus Vellberg arbeitet als Landesbeamtin in der Ministerialverwaltung in Stuttgart. Sie fährt durchschnittlich zweimal die Woche an ihren Arbeitsplatz in der Landeshauptstadt. Die restlichen Tage ist sie im Homeoffice. Bei 11,80 Euro pro einfacher Fahrt hat sie die Kosten für das Deutschland-Ticket schon in einer Woche wieder eingefahren, „das rechnet sich für mich“. Auch wenn sie Inhaberin einer BahnCard50 ist, bei der sie nur 50 Prozent der Bahnkosten bezahlt, ist das Ticket noch günstiger. Die Kosten von 244 Euro pro Jahr für die BahnCard50 hat sie schon bezahlt – sie betragen anteilig etwas über 20 Euro im Monat.

Da Katrin Hameister über eine Zonengrenze fahren muss, gibt es keine Monatskarte, die den regulären Fahrtpreis reduzieren würde. „Menschen, die im Gebiet des Verkehrsverbunds Stuttgart wohnen, sind da besser dran, sie könnten sich eine günstigere Zehner-Karte kaufen“, rechnet sie vor. Darum sieht sie die Vorteile für alle Pendlerinnen und Pendler nicht unbedingt gegeben, „ich stelle die pauschale Aussage, das Deutschland-Ticket hat nur Vorteile, grundsätzlich in Frage“, meint die Vielfahrerin.

Auch wenn Schülerfahrtkarten etwas günstiger als das 49-Euro-Ticket sind, mache es für viele ältere Jugendliche Sinn, überlegt die Mutter von drei Kindern: Das Schülerticket gelte nur im Landkreis, während mit dem Deutschland-Ticket für ein paar Euro mehr auch die Verkehrsmittel in den angrenzenden Kreisen zur Verfügung stehen. Katrin Hameister ist sich sicher, das neue Ticket gehe zulasten der örtlichen Verkehrsbetriebe.

Auch Ingrid Kühnel, Geschäftsführerin des Schwäbisch Haller KreisVerkehrs, sieht das so, sie rechnet durch das Deutschland-Ticket mit einem Abmangel von rund 1,7 Millionen Euro. Sie hofft, dass der örtliche Verkehrsverbund das Geld wieder als Förderung vom Bund zurückerhält. Der Bund wird den Ländern für die Förderung der „Öffis“  immerhin zehn Milliarden Euro zur Verfügung stellen.

Katrin Hameister ist von Bussen und Bahnen überzeugt. Allerdings findet sie die Taktung des Verkehrs auf dem Land nicht sehr kundenfreundlich: „Ich würde gerne direkt vor meinem Haus mit dem Bus losfahren“, betont die promovierte Politikwissenschaftlerin, „die Fahrpläne geben das aber nicht her“. Darum glaubt sie nicht, dass mehr Menschen zum Umstieg auf den öffentlichen Nahverkehr bewegt werden, solange die Fahrzeiten sich nicht grundsätzlich ändern. Das Neun-Euro-Ticket im letzten Jahr sei ein Angebot vor allem für Ferienreisende gewesen, das 49-Euro-Ticket richte sich hauptsächlich an Pendler, findet sie.

Die Landesbeamtin verlässt in der Regel morgens um 7.00 Uhr das Haus, fährt mit dem Auto zum Bahnhof, um den Zug um 7.25 Uhr in Hessental oder um 7.33 Uhr in Gaildorf zu erwischen – wenn er pünktlich ist. Schließlich ist sie nach Fahrplan um 8.35 Uhr in Stuttgart. Sie benötigt rund eine Viertelstunde ins Büro. Sollte sie um 9.00 Uhr einen Termin haben und der Zug verspätet sich, komme sie schon in Schwierigkeiten. Abends versucht Katrin Hameister den Zug um 17.26 Uhr zu erwischen, mit dem sie um 18.27 Uhr in Gaildorf oder 18.35 Uhr in Hessental ist. Die Haustüre schließt sich gegen 19.00 Uhr hinter ihr. Pro Tag ist sie also gut vier Stunden unterwegs.

Seit einigen Tagen ist jedoch alles anders: Durch die Bauarbeiten für das Bahnprojekt Stuttgart 21 zwischen Waiblingen und Bad Cannstatt gelten Ersatzfahrpläne: Die Landesbeamtin muss früher los, um nicht umsteigen zu müssen. Andernfalls würde sie das Risiko eingehen, einen Anschlusszug zu verpassen. Dann müsste sie bis zu einer halben Stunde auf die nächste S-Bahn warten. Um den Beschäftigten der Landesverwaltung dieses Los zu ersparen, können sie derzeit häufiger im Homeoffice arbeiten oder für wenige Euro einen der für sie extra in der Stuttgarter Innenstadt angemieteten Tiefgaragenstellplätze nutzen.

Bundesverkehrsminister Volker Wissing ist vom 49-Euro-Ticket nach wie vor überzeugt: „Mit dieser Reform zeigen wir: Deutschland kann modern, Deutschland kann digital, und Deutschland kann einfach.“ th

Zur Info:

Mit dem ab 1. Mai gültigen Fahrausweis können Reisende für nur 49 Euro monatlich unbegrenzt in Deutschland in allen Verkehrsmitteln des öffentlichen Nahverkehrs fahren. Das Ticket wird als Abo verkauft, das sich automatisch verlängert. Es kann aber bis zum 10. eines Monats zum Ende des Kalendermonats wieder gekündigt werden. Das Deutschland-Ticket ist über die Portale der Bahn und der örtlichen Verkehrsunternehmen oder in den Reisezentren erhältlich.

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