Die Familie Quaiser wurde hart von der Corona-Pandemie getroffen. Die Zirkusleute hängen seit über einem Jahr im letztjährigen Winterquartier in Laßbach fest.
Im Herbst 2019 hat der Zirkus Quaiser sein Winterquartier in Laßbach bezogen – wie schon in den letzten Jahren. In der Vergangenheit hatte die Familie über die Feiertage ein vielfältiges Programm aus den klassischen Zutaten Akrobatik, Tierdressur und Clownerie auf die Beine gestellt und in dem kleinen Ort gespielt. Danach wollten sie in der wärmeren Jahreszeit – wie bei dem Wanderzirkus seit neun Generationen üblich – wieder auf Tour gehen. „Je früher im Jahr, desto schneller können wir wieder etwas verdienen“, beschreibt Junior-Zirkusdirektor Manolito Quaiser die Überlegungen. Doch dann kam das Corona-Virus.
Die Quaisers blieben zunächst in ihrem Winterquartier im Künzelsauer Teilort und planten für die „Zeit danach“. Daraus wurde nichts, denn die Vorschriften der ins Auge gefassten Spielorte waren einfach zu unterschiedlich und änderten sich oft über Nacht: „Am ersten Tag hätten wir 100 Personen in unserem Zelt begrüßen dürfen“, erzählt seine Frau Nikita Quaiser, „am nächsten Tag wären es dann vielleicht nur noch 50 oder 20 gewesen“. Auf dieser Basis konnte die Familie nicht planen: Für ein Gastspiel muss der ganze Zirkus reisen, Diesel wird benötigt und die Werbetrommel muss gerührt werden. „Bevor wir das erste Mal auftreten können, ist schon einmal ein mittlerer vierstelliger Betrag weg“, rechnet Manolito Quaiser vor. So blieben sie das ganze Jahr in Laßbach. „Menschlich geht es uns hier gut, wir bekommen viel Zuspruch“, fasst er die Situation zusammen. Wirtschaftlich ist die Lage angespannt: Die Großfamilie benötigt Essen, Strom und Wasser zum Leben, die Tiere Nahrung: Alleine die beiden halbwüchsigen Löwen fressen für rund 1500 Euro Fleisch im Monat. Dazu kommen Kamele, Dromedare, Pferde, Ponys, Esel und Lamas, die täglich ihre Portion Heu erwarten. „Die Tiere sind einen gewissen Standard gewöhnt, den wir beibehalten müssen“, betont der 29-Jährige, „wir wollen, dass sie gesund bleiben“.
Neben der Pflege der Tiere muss die Familie jeden Tag trainieren – sonst bauen die Muskeln ab. Manolito arbeitet mit den Tieren, macht Handstandakrobatik und tritt als Messerwerfer sowie als Balancekünstler auf. Seine 25-jährige Frau Nikita ist Hochseilakrobatin und macht mithilfe eines Rings Luftakrobatik (Aerial-Hoop). Die anderen Familienmitglieder sind als Feuerspucker, Salto- und Hochseilakrobat, Clown und Handstandakrobat tätig. „Da wir unser Zelt nicht aufbauen konnten, ist ein richtiges Training nur bedingt möglich“, erklärt Manolito Quaiser. Auch die Tiere müssen in Übung bleiben und mit ihnen müssen neue Nummern einstudiert werden. Gerade die beiden Löwen liegen dem Junior-Chef am Herzen: Es scheint durch den täglichen Umgang ein großes Vertrauensverhältnis zu bestehen. Doch dass die 14 und 17 Monate alten Tiere keine Schmusekätzchen sind, bekommen Besucher zu spüren: Wer zu nahe an den inneren Zaun geht, erhält einen Tatzenhieb.
Für die Familie – dazu gehören 14 Personen, von einem zwei Wochen alten Baby bis hin zur 90 Jahre alten Oma – ist der Zirkus „kein Beruf, sondern Berufung“, unterstreicht Manolito Quaiser den Stellenwert. So tragen alle nach ihren Möglichkeiten dazu bei, dass der Zirkus weiter überleben kann. Zwar gab es die Corona-Soforthilfe vom Staat, „das war aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein“. Leider würden die rund 300 Zirkusse, die noch in Deutschland reisen, in seinen Augen nicht ausreichend vom Staat unterstützt. „Wir gehören nicht zur Kultur und werden somit nicht gefördert“. Dabei hätten die Darbietungen von reisenden Akrobaten und Gauklern eine jahrelange Tradition. In der Zwischenzeit laufen die Rechnungen der Familie jedoch weiter. Sie sitzt in den Startlöchern und will sofort loslegen, wenn sie wieder spielen darf.
Bis es soweit ist, herrscht Unsicherheit vor: „Wir haben Existenzängste“, lässt Nikita Quaiser wissen. Jeden Tag verfolgt die Familie die Nachrichten und hofft auf positive Neuigkeiten, in den letzten Tagen gab es aber nur negative. Zwar können sie kostenlos auf dem Gelände in Laßbach wohnen und haben in den letzten Monaten viel Nächstenliebe erfahren: Neben Geldspenden bringen Menschen auch Futter für die Tiere vorbei. Aber letztlich möchten sie so schnell wie möglich wieder vor Publikum auftreten und die Menschen unterhalten. „Wir wissen gar nicht mehr, wann unsere letzte Vorstellung war“, überlegt der 29-Jährige. „Wenn ich die Tiere, die auf mich angewiesen sind, nicht hätte, wäre ich wahrscheinlich schon an der Situation zerbrochen.“
Das diesjährige Weihnachtsfest verläuft anderes als geplant: Die Quaisers wollten am Ende ihrer Jahrestour entlang der Schweizer Grenze ein Weihnachtsprogramm in einer größeren Stadt spielen. Jetzt sitzen sie in Laßbach. Am Heiligen Abend hätten sie keine Vorstellung gegeben und würden sich mit der Großfamilie eine Pute schmecken lassen. Doch dieses Jahr feiern sie im kleinen Kreis, jede Familie in ihrem Wohnwagen unter dem Weihnachtsbaum. „Wir wollen das Infektionsrisiko so gering wie möglich halten, wir haben ja unsere Oma und unser Baby“, erzählen sie von den Vorbereitungen. th
Foto: Nikita und Manolito Quaiser mit einem Teil der Tiere: Die Kamele, Dromedare, Pferde, Ponys, Esel, Lamas und Löwen benötigen jeden Tag Heu und Fleisch.