Ebbes aus Hohenlohe

„Geschichte ist nicht abstrakt, sie passiert vor Ort“

„Eine enorme Ausstellung auf Großstadtniveau“, findet Architekt Wolfgang Kuhn aus Schwäbisch Hall. „Die technische Umsetzung ist einfach spitze.“ Wie andere Besucherinnen und Besucher auch, ist er nach dem Gang durch die Ausstellung „Über 1000 Jahre Unterregenbach – Auf archäologischer Spurensuche“ im Hällisch-Fränkischen-Museum (HFM) in Schwäbisch Hall vom „Cold Case“ fasziniert. „Die vielen Inhalte laden zum Wiederkommen ein“.

Das HFM präsentiert noch bis 29. Oktober 2023 den aktuellen Stand der Forschungen um ein Rätsel der württembergischen Mittelalterarchäologie: In Unterregenbach, einem kleinen Ort bei Langenburg im Jagsttal, wurden bei mehreren Ausgrabungen seit dem 19. Jahrhundert Überreste einer außergewöhnlich großen Kirche, der Vorgängerbauten der heutigen Pfarrkirche, eines möglichen Herrensitzes und einer alten Befestigungsanlage entdeckt. In welchem Zusammenhang die Bauten, die nach derzeitigem Forschungsstand zum Teil aus dem späten achten bzw. frühen neunten Jahrhundert stammen, zueinander standen, ist Aufgabe eines parallel laufenden Forschungsprojekts. Dabei soll auch geklärt werden, ob die Anlage ein Kloster war, welche Reliquien dort verehrt wurden und welche Bedeutung Unterregenbach damals im regionalen Herrschaftsgefüge hatte. „Darum passt die Ausstellung gut in das HFM“, betont Halls Oberbürgermeister Daniel Bullinger. „Wir sind das Landesmuseum für Hohenlohe.“

Die Konzeption der Schau wurde von Studierenden des Masterprojekts „Cold Case Unterregenbach“ von Prof. Lars Uwe Bleher (Hochschule Darmstadt) im Sommersemester 2022 erarbeitet. „Unsere Ideen sind gut umgesetzt“, freut sich der Professor. „Die Agentur spek DESIGN aus Stuttgart ist sehr respektvoll mit unserem Masterplan umgegangen.“ In einem Making-Of zeigen die Studentinnen und Studenten, wie sie an das Projekt herangegangen sind, erzählt Marie-Christin Willems: „Zunächst haben wir die Aufgabe bekommen, dann haben wir uns Schritt für Schritt dem Kern genähert und verschiedene Medien zur Visualisierung eingesetzt.“

Unter Verwendung der aktuellen Medientechnik gibt die Ausstellung nach und nach etwas vom aktuellen Stand der Forschung preis und erzeugt Spannung: Einzelne Fundstücke wie ein Abendmahlkelch erzählen ihre Geschichte, Fachleute erläutern den historischen Zusammenhang und ordnen die christlichen Bauten ein. Die Basilika war im zehnten Jahrhundert wahrscheinlich das größte Kirchengebäude im heutigen Württemberg – wie beeindruckend groß, zeigt eine Kombination aus einem aktuellen Bild und einem projizierten Computermodell. Bei der Eröffnung der Ausstellung machte Fürst Philipp zu Hohenlohe-Langenburg klar: „Damals stand unser Schloss noch nicht und unsere Familie spielte noch keine Rolle.“ Warum einige Jahre später der Niedergang erfolgte, ist heute noch unklar. Die Besucherinnen und Besucher werden aufgefordert, ihre Gedanken mitzuteilen und an der Lösung des Mysteriums mitzuarbeiten.

Christian Neuber ziehen die Funde und die bisherigen Erkenntnisse bis heute in den Bann: Vor Jahren gründete der ehemalige Verleger von Kinder- und Jugendzeitschriften die Stiftung „Archäologische Erforschung Unterregenbach“, um sich dem Rätsel weiter zu nähern. Er finanziert mit anderen Sponsoren, wie der Wüstenrot-Stiftung, die Ausstellung und die weitere Erforschung des „Falls“.

Die moderne Präsentation richtet sich ganz bewusst an „junge Leute, die an Archäologie und an Heimatgeschichte interessiert sind und sich von den Funden fesseln lassen“, bringt es Christian Neuber auf den Punkt. Dass die Idee funktioniert, zeigt ein Raum der Ausstellung: Eine achte Klasse des Evangelischen Schulzentrums in Michelbach an der Bilz hat sich mit Papp-Modellen, Zeichnungen, einem Podcast und einem Film mit den bisherigen Erkenntnissen beschäftigt.

Die neunjährige Liesl ist ganz begeistert von der Ausstellung: Sie lebt mit ihrer Familie in Unterregenbach und kennt die Geschichte ihres Ortes. „Durch die Computermodelle kann man sich die Größe der Bauten besser vorstellen.“ Sie findet den spielerischen Umgang mit dem Thema unter anderem durch eine Suche und eine Stempelkarte ansprechend. Ihre elfjährige Schwester Mia wünscht sich allerdings mehr „echte“ Fundstücke, um weitere Details über das Rätsel zu erfahren. Von der Faszination der Kinder berichtet auch ein Lehrer, der jedes Jahr mit seiner vierten Klasse die Ausgrabungen in Unterregenbach besucht: „Ich muss auf jeden Fall mit ihnen in die Ausstellung gehen. So kann man den Kindern zeigen, dass Geschichte nicht etwas Abstraktes in Büchern ist, sondern vor Ort passiert.“

Die Langenburgerin Annette Sperber findet die Ausstellung „perfekt, sie spricht ein junges Publikum an“. Sie bedauert es allerdings, dass die Schau nicht in Unterregenbach zu sehen ist. Die Fülle der Information sei für einen Besuch fast zu viel. „Dadurch, dass der Eintritt kostenlos ist, kann man noch einmal wiederkommen und sich in aller Ruhe mit manchen Dingen intensiver beschäftigen.“

Museumsleiter Dr. Armin Panter freut sich ebenfalls über die Konzeption der Ausstellung: „Sie endet nicht mit einem Schlusspunkt, sondern mit einem Fragezeichen.“ Den offenen Fragen soll am 6. und 7. Oktober 2023 in einer hochkarätig besetzten Tagung weiter auf den Grund gegangen werden: In den Vorträgen werden neue Forschungsergebnisse über die Abstammung von zwei gefundenen Skeletten vorgestellt. In der Schwäbisch Haller Hospitalkirche werden außerdem die ersten Erkenntnisse einer Grabung präsentiert, die in diesem Sommer stattfinden soll. th

Foto: KD Busch/Stiftung Archäologische Erforschung Unterregenbach

www.stiftung-unterregenbach.de

Zur Info:

Die Ausstellung „Über 1000 Jahre Unterregenbach – Auf archäologischer Spurensuche“ im Hällisch-Fränkischen-Museum in Schwäbisch Hall (Keckenhof 6) zeigt bis 29. Oktober 2023 in verschiedenen Räumen die bisherigen Erkenntnisse der Grabungen in Unterregenbach. Der Eintritt ist frei.

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