Autor Jan Wiechert erklärt, welche Probleme es beim Bau des Langenburger Galgens im 18. Jahrhunderts gegeben hat. Und wie sie gelöst wurden.
Allzu häufig wurde der Langenburger Galgen im 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts nicht genutzt – trotzdem brach die Richtstätte im Winter 1723/24 einfach zusammen. Sie stand, gut sichtbar, an der alten Einfallstraße von Gerabronn nach Langenburg auf der Höhe des Wasserturms, vermutlich dort, wo heute der Sportplatz liegt.
Der Galgen, so berichtete der Historiker Jan Wiechert anlässlich der Veranstaltungsreihe zugunsten des Torwachthauses, war der Ort, an dem sämtliche Todesurteile vollstreckt wurden. Ob ein zum Tode verurteilter Verbrecher durch das Schwert, durch Feuer oder am Strang sterben musste, hing davon ab, wie „schändlich“ seine Tat war: Während geköpfte Delinquenten noch die Aussicht hatten, auf dem Friedhof bestattet zu werden, wurden verbrannte und erhängte meist in der Nähe des Hinrichtungsorts einfach verscharrt. Sie hatten nach dem damaligen Glauben somit keine Chance auf Erlösung beim jüngsten Gericht. So traf diese harte Strafe vor allem religiöse oder ethnische Randgruppen. Bürger aus der Umgebung wurden meist zum Tod durch das Schwert „begnadigt“ – so behielten sie und ihre Verwandten ihr Ansehen.
Das „altehrwürdige Hochgericht“, also der Galgen, war nach Worten des Historikers, ein Ort der Rechtspflege: Hier wurden die Urteile vollzogen. Er diente aber vor allem der Abschreckung und der öffentlichen Machtdemonstration durch den damaligen Grafen oder Fürsten, „der Platz war ein Statement der Rechtsstaatlichkeit“, betonte Jan Wiechert. Die Richtstätte symbolisierte das Privileg, die Blutgerichtsbarkeit ausüben zu dürfen. Während heutzutage der Gerichtsprozess, also die Anklageerhebung, die Würdigung der Beweise, die Verteidigung und schließlich der Urteilsspruch, öffentlich ist, fand in der frühen Neuzeit das Verfahren unter Ausschluss der Bürgerinnen und Bürger statt. Sie durften oder mussten später dann an der Vollstreckung des Urteils teilnehmen. Das heutige Recht legt dagegen fest, dass der Strafvollzug nichtöffentlich ist.
Nach Recherchen des Historikers und Autors Jan Wiechert gab es in Langenburg von 1550 bis 1806 maximal 20 Hinrichtungen, „nicht jeder Einwohner nahm also im Laufe seines Lebens an einer Exekution teil“. Das Ereignis als solches war aber recht spektakulär: Gleich einer Prozession zogen der Richter, Gerichtsmänner, Soldaten, Bürgerinnen und Bürger, singende Schülerinnen und Schüler, Musikanten sowie natürlich die Verurteilten vom Rathaus hinaus zur Richtstätte – oft mehrere Hundert Menschen.
Wenn auch das Ereignis an sich sehr viele Neugierige anzog, so waren die direkt daran Beteiligten und die Stätte selbst so unehrlich, dass ein Mensch, der sie berührte, sämtliches öffentliches Ansehen verlor, erzählte der Historiker. Dieses besondere Ehrgefühl war das größte Problem, als Fürst Ludwig zu Hohenlohe-Langenburg kurze Zeit nach dem Einsturz des Galgens im Frühsommer 1724 die Neuerrichtung befehligte. Auch wenn die Tötungsstätte nicht dem Bild entsprach, das heutzutage vor allem durch den Westernfilm geprägt wurde, so war der Bau technisch nicht sehr anspruchsvoll: Es wurden drei Holzsäulen benötigt, die durch drei Balken miteinander in Form eines Dreiecks verbunden waren. An diesen Querbalken wurden schließlich die Delinquenten aufgeknüpft – sie blieben als Abschreckung meist so lange hängen, bis sie von selbst abfielen.
Der vom Fürsten beauftragte Amtmann Georg August Hochheimer fand keine Handwerker, die den alten Galgen abtrugen und einen neuen bauen wollten – sie hatten Angst um ihre Ehre. Da andere Grafschaften und Fürstentümer in der damaligen Zeit vor ähnlichen Problemen standen, tauschten sie sich über verschiedene Lösungsmöglichkeiten aus und passten sie den lokalen Gegebenheiten an. Der Amtmann, der gleichzeitig auch der Richter war, ließ den alten Galgen durch den Fürsten einfach als „frei und ehrlich“ erklären. Zum Beweis, dass dem so sei, legten er und seine Helfer die Hand auf die Trümmer. Auch die anwesenden Handwerker mussten das tun, sodass keiner in den Augen des anderen seine Ehre verlieren konnte, erklärte Jan Wiechert. Als dann dem ersten Mann, der die Steine abtransportierte, noch ein Maß Wein versprochen wurde, war die Arbeit schnell verrichtet.
Ebenso ging der einfallsreiche Amtmann Hochheimer beim Bau des Galgens vor: Alle Handwerker Langenburgs mussten einen, wenn auch kleinen Teil zur fertigen Hinrichtungsstätte beitragen. So stand schließlich nur zehn Tage später der neue Galgen auf der Höhe vor der Residenzstadt. Erst 14 Jahre später wurden dort die ersten Todesurteile auf Geheiß des Amtmanns durch einen Scharfrichter der Familie Fuchs vollstreckt.
Jan Wiechert konnte die Geschichte so genau und anschaulich erzählen, weil im Hohenlohe-Zentralarchiv Neuenstein ein detaillierter handschriftlicher Bericht des Amtmanns gefunden wurde. „Wir haben hier eine sehr hohe Quellendichte“, freute sich der Historiker, der sich auf die Kriminalgeschichte Hohenlohes spezialisiert hat. Seit dem Mittelalter seien viele Gerichtsakten komplett erhalten, auch die zu den Prozessen wegen „unehelichen Schwängerungen“. Das seien „einzigartige Überlieferungen“, die viele Historiker für ihre Forschungen nutzen.
Der Vortrag war Teil der zweiten Staffel der Benefizveranstaltungen für die Renovierungen des Langenburger Torwachthauses. „Eine weitere Staffel ist von März bis Mai geplant“, berichtete Heide Ruopp. „Es ist für mich eine Freude, wenn ich das große Engagement für unser Projekt sehe.“ th
Foto: Für den Standort eines Galgens wurde meist eine stark frequentierte Straße auswählt. So befand sich die Langenburger Hinrichtungsstätte auf dem Gelände des heutigen Sportplatzes, wie Jan Wiechert zeigt.