Der Deutsche Bernd Kestler ist Japans Strickguru
Mit nur zwei Nadeln und etwas Garn kann Bernd Kestler die unterschiedlichsten Kunstwerke herstellen. „Immer mit den gleichen Materialien, analog und ohne PC, nur mit meinen Händen und mit etwas Kreativität“, freut sich der Wahl-Japaner.
Der gebürtige Hesse kam schon im Alter von zwölf Jahren zum Stricken: Während ihn als Kind seine Schwester bestrickte, wurde später ihr erster Freund bevorzugt mit den selbstgemachten Dingen bedacht. So brachte Bernd Kestler sich das Stricken mit Hilfe eines Buches einfach selbst bei. Dieses Hobby hat ihn nie losgelassen. Auf Japan kam er während seines Studiums zum Gartenbauingenieur: Er jobbte für ein Unternehmen, das Wirtschaftsseminare konzipierte. Als das Interesse an dem fernöstlichen Land größer wurde, erhielt er den Auftrag, sich damit zu beschäftigen – er hatte Feuer gefangen. In einem Zusatzstudium lernte er japanisch und kurz nach dem Examen hatte er 1998 seine erste Anstellung in Tokio.
Neben der Arbeit ließ ihn sein Hobby nicht los und er entdeckte Wollläden. In Japan stricken nur ganz wenige Männer, und so wurde er von seinen Freunden und Bekannten aufgefordert, weiterzumachen. Neben seinem Beruf wollte er aber nach wie vor seinen Traum leben – 2010 gab er seinen ersten Strickkurs. Jeder Workshop hat ein Thema, entweder ein Strickstück oder eine Stricktechnik. Da das Stricken in Japan erst seit gut 150 Jahren bekannt ist, hat es immer noch etwas Exotisches und auch die verschiedenen Techniken sind nicht so weit verbreitet. So muss er seinen „Schülern“ teilweise jeden Schritt erklären und auch die Anleitungen müssen sehr ausführlich sein. Da die Nachfrage nach den Kursen und auch nach den selbst entworfenen Modellen immer größer wurde, wagte er den Sprung ins kalte Wasser und machte sich als „kreativer Stricker“ selbstständig. 2013 schrieb er sein erstes Buch: Als Deutscher wollte er auch Wolle aus seiner Heimat verwenden und so stieß er auf die Materialien aus Wallhausen: Die Wolle, das Konzept und die Farben von Gerhard Schoppel gefielen ihm so gut, dass eine Freundschaft entstand. Kürzlich war er auf einer Firmenfeier in Wallhausen und erzählte aus seinem Leben.
Nach wie vor hat für Bernd Kestler Stricken etwas Magisches, „es ist reine Zauberei“. Er kann sich die Modelle ausdenken, die Handwerkskunst hat etwas Mathematisches und Logisches. „Stricken liegt irgendwie in meiner DNA. Ich sehe im Strickstück die Verbindungen der Maschen und wie der Faden im Gewebe verläuft.“ Er stellt sich vor, wie die einzelnen Teile eines Musters zusammengesetzt sind. Bei manchen Stücken laufen die Finger in einem eigenen Rhythmus. „Meine Hände übernehmen dann die Führung und ich kann nicht mehr aufhören.“ So hat er immer Nadeln und Garn dabei, ob er im Zug oder im Flugzeug sitzt. Selbst bei seinen Motorradfahrten quer durch Japan sind die Stricksachen in der Satteltasche. Auf diese Weise kommt er mit den zurückhaltenden Japanern schnell ins Gespräch.
Das Interesse am Stricken ist hier sehr groß. Vor allem ältere Frauen kennen ein paar Techniken, aber die jüngeren haben es oft nicht gelernt. So muss der „Lehrer“ ganz von vorne anfangen. Doch selbst für ein einfaches Dreieckstuch benötigen die Japaner eine genaue Anleitung und wollen mit der Originalwolle stricken. So werden zu den Büchern oft auch Stricksets angeboten.
Bernd Kestler strickt gern farbenfroh. „Für mich sind Farben die Würze des Lebens.“ Die Anregungen für seine Modelle holt er sich aus dem Alltag: So übernimmt er das Muster eines Bodenbelages oder eines Kaffeetellers. Dabei setzt er auf einfache Techniken, die er neu kombiniert. Manchmal lässt er einfach bei einem anderen Entwurf eine Reihe weg, „und dann bekomme ich ein komplett anderes Tuch, das ist für mich die Zauberei beim Stricken“. th