Die Kunsthistorikerin Rosemarie Wolf interessiert sich für Begebenheiten in der Vergangenheit. Nun hat sie ihr fünftes Buch vorgelegt, das sich mit den Kirchberger Scharfrichtern befasst.
Im Hohenloher Zentralarchiv in Neuenstein fühlt sich Rosemarie Wolf zu Hause: Sie gräbt in alten Unterlagen, sichtet Protokolle und wertet Briefe aus. Heraus kommen immer neue Erkenntnisse über die Geschichte Hohenlohes. Nachdem sie sich mit den Malereien in der Kirche von Krailshausen bei Schrozberg (2018) und mit frommen Frauen in Mistlau (2020) beschäftigt hatte, gibt sie jetzt ihr fünftes Buch heraus: Darin geht sie den verschiedenen Scharfrichterdynastien in Kirchberg an der Jagst und deren Aufgaben auf den Grund.
Rosemarie Wolf stammt ursprünglich aus Kirchberg, „hier kenne ich Weg und Steg, das ist meine Heimat“. Sie war jahrelang in der Nähe von Backnang als Grund- und Hauptschullehrerin tätig. Zunächst reduzierte sie ihren Lehrauftrag, später ließ sie sich vorzeitig pensionieren. Ihr Ziel: das Studium der Literatur und Kunstgeschichte. Im Jahre 2000 ging sie nach Stuttgart an die Universität und legte 2005 ihre Magisterarbeit über den Haller Maler Johann Schreyer vor. Er schuf Anfang des 17. Jahrhunderts etliche Gemälde, unter anderem die Neuhaustafel, die heute im Haalamt zu finden ist. Der Künstler hat aber auch Werke in der Lobenhausener Kirche hinterlassen: An der Südwand der Burgkapelle hängt sein Mair-Epitaph.
„Während des Studiums habe ich sofort gefühlt, dass ich an der richtigen Stelle bin“, erzählt die ehemalige Lehrerin, die jetzt wieder in Kirchberg wohnt. Sie will Grundlagenforschung betreiben und taucht dafür tief in das Hohenloher Zentralarchiv ein. „Es hat etwas gedauert, bis ich mich mit der Systematik dort vertraut gemacht habe“, blickt Rosemarie Wolf zurück. „Aber Michael Wörner hatte viel Geduld mit mir und war immer eine große Hilfe.“
Die Themen fliegen ihr nach eigenen Aussagen zu: Mal bekommt sie einen Hinweis von Bekannten, mal entdeckt sie zufällig etwas. Als sie in Krailshausen die kleine Martinskirche aus dem elften Jahrhundert besuchte, war sie von den Wandmalereien fasziniert. Sie sind um 1400 entstanden und nur noch rudimentär erhalten. Die Kunsthistorikerin hat sich zusammen mit einer Kollegin mit den Heiligenlegenden des Jacobus de Voragine aus dem 13. Jahrhundert befasst. Sie waren Vorlage für viele mittelalterliche Heiligendarstellungen. So konnten sie eine Abbildung des Heiligen Martin bei einer Baumfällung erkennen: Während der Christianisierung wurden viele heidnische Heiligtümer, darunter Bäume, Quellen oder Felsen, entweder in Kirchen integriert oder einfach gefällt.
In Mistlau bei Kirchberg verortete Rosemarie Wolf eine Klausur: Fromme, meist adlige Frauen gingen im Mittelalter entweder in ein Kloster oder in eine Klausur. Fundamente der Klause wurden im Haus neben der Kirche gefunden. Von drei Frauen, die im 13. bis 15. Jahrhundert dort gelebt haben, ist der Name bekannt. Aus ihren Forschungsergebnissen entstanden umfangreiche, mit vielen Bildern versehene Bücher. Sie stützen sich streng wissenschaftlich auf Quellen, die sie in Archiven gefunden hat.
In ihrem neuesten Werk „Der Meister in der Klinge“ beschäftigt sich die Kunsthistorikerin mit den Scharfrichtern und Fallmeistern im Amt Kirchberg. Als Fallmeister werden auch die Abdecker bezeichnet: Meist übten sie beide Tätigkeiten parallel aus. Da die Menschen einen „unehrlichen Beruf“ hatten, galten sie als Außenseiter und durften nicht innerhalb der Stadtmauern wohnen. In der Gemeinde Kirchberg befand sich das Wohnhaus mit den Schuppen für die Werkzeuge im heute nicht mehr existierenden Kleindörrmenz. In der Gegend waren auch die Fallgruben, wo die Überreste der toten Tiere vergraben wurden – den Abdeckern kam eine wichtige Aufgabe bei der Vermeidung von Seuchen zu.
Die Hauptaufgabe der Männer bestand aber daraus, bei der Ermittlung von Kriminalfällen zu helfen und die Urteile dann zu vollstrecken. Sie galten als Teil der Machtdemonstration des jeweiligen Herrschers. Basis der Arbeit war das erste allgemeine deutsche Strafgesetzbuch, die „Constitutio Criminalis Carolina“ von Kaiser Karl V. aus dem Jahr 1532. Im Zuge des Prozesses wurden die Verdächtigten „peinlich befragt“, also gefoltert. Und nach einem Geständnis folgten die Strafen: Neben Geldstrafen und Freiheitsstrafen waren das vor allem Leibes- und Todesstrafen. Für die Prügel, Verstümmelungen und Hinrichtungen war auch der Scharfrichter zuständig. Der Kirchberger Galgen befand sich auf der heutigen Charlottenhöhe. Der Vollzug der Strafe wurde als Volksfest mit Musik und einem feierlichen Umzug begangen.
Neben allerlei Prozessakten fand Rosemarie Wolf auch eine detaillierte „Preisliste“ der Scharfrichter und Abdecker. Daraus ist ersichtlich, dass das „unehrliche“ Geschäft durchaus lukrativ und die Familien wohlhabend waren. Die Kunsthistorikerin wertete für ihr Buch mehr als 100 Seiten Gerichtsprotokolle des Hohenloher Zentralarchivs aus, „sie waren schwer zu lesen, obwohl die Schreiber oft eine sehr exakte Schrift hatten“. In den Schriftstücken wurde der Prozessverlauf und auch die Hinrichtung detailliert geschildert, „das war oft eine sehr blutige Angelegenheit“. Bei ihren Recherchen stieß sie auf zwei Dynastien – Fuchs und Hacker. Die Familie Fuchs stellte seit dem 16. Jahrhundert zehn Scharfrichter, darunter auch den „Klingenmichel“ Michael Fuchs (1646 bis 1729). Christoph Hacker aus Bayreuth heiratete 1766 Maria Judith Fuchs und übernahm somit auch das Amt. Da der Beruf als unehrenhaft galt, heirateten die Scharfrichterfamilien fast ausschließlich untereinander, was zu Verwandtschaftsehen führen konnte. Aus der Familie Hacker sind drei Scharfrichter bekannt, bis Kirchberg durch die Einverleibung ins Königreich Württemberg seine Selbstständigkeit verlor.
Neben der Recherche in den Archiven betreibt Rosemarie Wolf gerne auch Feldforschung: Sie sucht vor Ort nach noch sichtbaren Mauerresten, und greift dafür auf das Wissen der alten Bewohnerinnen und Bewohner zurück, „sie haben so viel Wissen und dabei finde ich Themen ohne Ende.“ th
Bild: Rosemarie Wolf in der früheren Arrestzelle und Folterkammer im Unterbau des Kirchberger Schlosses.