Hermann Deeg ist einer der Pioniere in der deutschen Taekwondo-Kampfsportszene
Es ist stockdunkel. Eine Nachtschwärmerin hastet durch schmale Gassen zu ihrem Golf. Plötzlich Schritte. Eine vermummte Gestalt raunt: „Wenn du schreist, bist du tot.“ Hoffentlich schafft es die fiktive Frau, sich zu verteidigen. Hilfreich wäre dabei Taekwondo.
Die koreanische Kampfsportart ist in Blaufelden untrennbar mit dem Namen Hermann Deeg (62) verbunden, der sie am Ort etabliert hat. Seine Schüler feierten bereits großartige Erfolge, bis hin zur Bronzemedaille bei der Weltmeisterschaft.
„Tae“ steht für Kicks mit dem Fuß, „Kwon“ meint Stöße mit der Faust. „Do“ ist der Weg und beschreibt die persönliche Entwicklung. Ziel von Tae-kwondo ist es, einen Angreifer ohne Waffen abzuwehren. Einstudierte Bewegungsmuster sollen im Verteidigungsfall automatisch abrufbar sein.
„Taekwondo hält fit und trainiert verschiedene Bereiche“, erklärt Hermann Deeg. Es fördert Kraft, Schnelligkeit und Beweglichkeit. Die Schüler heißen Taekwondoin und tragen beim Training in der Blaufelder Gymnastikhalle weiße Anzüge, sogenannte „Doboks“. Der Gürtel um ihre Hüften spiegelt den Leistungsstand wider.
Am Dienstagabend um 20 Uhr sind die Fortgeschrittenen an der Reihe, braun- und schwarz gegürtet. Im vorderen Teil der Halle stehen sich zwei Tae-kwondoin gegenüber. Die junge Frau gibt mit einem Schrei das Zeichen zum Angriff. Ihr Partner wehrt sich per Fußtritt. Wäre die Gefahr real, könnte er damit nacheinander Bauch und Kopf der Gegnerin treffen. Im Training halten beide genügend Abstand, damit sich niemand verletzt.
Die Kommandos sind in koreanischer Sprache. So können sich die Sportler problemlos international verständigen. „Momtong jirugi“ heißt der Fauststoß, „Ap-chagi“ ist der Tritt nach vorne. Wenn der Trainer „Pakkat-makki“ ruft, weiß der Schüler, wie er einen Angriff abwehren muss.
Hermann Deeg zeigt ein zwei Zentimeter starkes Brett aus massivem Fichtenholz. Beim Bruchtest zerschlagen es die Taekwondoin in zwei Hälften. „Damit überprüfen wir unsere Technik und machen sichtbar, welche martialische Kraft dahinter steckt“, erklärt der Träger des sechsten Meistergrads (Dan).
Der 62-Jährige begann vor 45 Jahren in Rothenburg ob der Tauber Taekwondo zu erlernen und gehört damit zu den Pionieren in Deutschland. Inspiriert hatten ihn Filme mit Bruce Lee. Ein Freund von ihm trainierte parallel Judo. An den Wochenenden trafen sie sich an ihrem Heimatort Blaufelden mit Kumpels, die sich in punkto Kampfsport etwas abschauen wollten. So entstand 1975 die Abteilung „Waffenlose Selbstverteidigung“ unter dem Dach des TSV. Letztlich fokussierte sich die rund zehnköpfige Truppe auf Taekwondo, da dafür keine teuren Matten nötig waren.
Hermann Deeg bildete sich mit großem Ehrgeiz weiter und war den anderen immer mindestens zwei Gurte voraus. Als Cheftrainer der Taekwondo-Abteilung gibt er den Takt vor. Aktuell gehören ihr fünf Trainer und 86 aktive Sportler an. Zeitweise trainierten in Blaufelden bis zu sieben deutsche Meister parallel.
„Ich war Gründungsmitglied der Deutschen Taekwon-do Union“, blickt Hermann Deeg zurück. Eine Weile trainierte er die baden-württembergische Landesauswahl – von 1986 bis 1990 die Erwachsenen und von 1993 bis 1996 die Jugend.
Als Dozent an der Sportschule Durlach ist er für die komplette Trainerausbildung des Landesverbands zuständig. Der Blaufelder gibt bundesweit Lehrgänge, besitzt die Prüferlizenz und betreut mehrere Vereine in der Region – von Bad Mergentheim bis Lauchheim. „Taekwondo ist ein Teil von meinem Leben geworden“, sagt er. Kicks in zwei Metern Höhe schafft er inzwischen nicht mehr. Seine Aufgabe sieht er nun darin, junge Leute auszubilden und Talente vorwärts zu bringen. Es freut ihn, wenn aus Nichtsportlern gute Taekwondoin werden – egal welchen Alters. „Wir wollen eine Art Lebensschule vermitteln. Wichtig sind Disziplin und ein fairer Umgang“, betont er. „Die Leute sollen Persönlichkeiten werden, die ihre Meinung vertreten können.“
Wenn er in seinem Beruf als Kriminalhauptkommissar eine Spur verfolgt, kommt ihm die Beharrlichkeit aus dem Taekwondo zu Gute. Auch in Karate und Ringen ist er fit, erkämpfte sich schwarze Gürtel in Jiu-Jitsu, Allkampf und Kickboxen sowie den 10. Schülergrad im Wing Tsung. Die Kampfsportarten ergänzen sich. Jede hat ihre eigenen Schwerpunkte, die in bestimmten Situationen wertvoll sein können. Landet er mit einem wehrhaften Schurken am Boden, sind die Techniken des Ringers von Vorteil. „Je mehr du kannst, desto vielseitiger bist du“, schildert er.
Was soll die eingangs erwähnte Frau in der dunklen Gasse tun, sofern sie kampfsportunkundig ist? „Grundsätzlich solche Situationen meiden“, rät der Experte. Falls das nicht möglich sei, könne sie beim Gang zum Auto mit einer Vertrauensperson telefonieren, die im Fall der Fälle Hilfe ruft. Eine Chance sich zu wehren bestehe darin, den Autoschlüssel oder einen Kuli griffbereit zu haben und als Waffe einzusetzen – aber nur im absoluten Notfall. „Um die erforderlichen körperlichen Fähigkeiten zu haben, benötigt man wochen- bis jahrelanges intensives Training“, unterstreicht er. „Die Selbstverteidigung muss intuitiv kommen. Sie brauchen eine gewisse Härte, sonst versagen Sie im Ernstfall.“ sab