In Gerabronn versuchen rund 20 Helferinnen und Helfer, den Menschen aus der Ukraine ein zeitweiliges Zuhause zu geben. Mit großem Engagement kümmern sie sich um viele Dinge des Lebens – bis hin zu Freizeitaktivitäten und Ausflügen. Und werden dabei von einem großen Netzwerk unterstützt.
„Ihr reagiert alle so wahnsinnig schnell auf unsere Anfragen, dass wir fast in allen Fällen schon nach wenigen Tagen voll versorgt sind.“ So schreibt Maria Milash in der WhatsApp-Gruppe der Ukraine-Hilfe in Gerabronn. Wenn etwas benötigt wird, gibt es genügend Menschen, die es besorgen können oder gerne mit anpacken.
Vor 43 Tagen kamen die ersten Geflüchteten über verwandtschaftliche Beziehungen zu Konstantin Milash nach Gerabronn. Der Michelbacher und seine Frau Maria sind zusammen mit der ebenfalls aus der Ukraine stammenden Oxana Hornung, mit Luba Hartwich und dem Flüchtlingskoordinator Patrick Staack so etwas wie das Herz und die Seele der Helferinnen und Helfer in Gerabronn.
Am Freitag, 11. März, erhielt Patrick Staack den Hinweis, dass erste Geflüchtete auf dem Weg nach Gerabronn seien. Er organisiert auf Basis eines Minijobs des ökumenischen Vereins Füreinander seit 2018 die Arbeit der Helferinnen und Helfer in Gerabronn. Auf dem Höhepunkt der syrischen Flüchtlingswelle hat der Verein 2015/2016 diese Stelle zur Koordination geschaffen. Patrick Staack erinnerte sich an eine E-Mail von Professor Dr. Steffen Koolmann, Vorstandsvorsitzender der Weckelweiler Gemeinschaften. In dem Schreiben bot die Einrichtung zwei leerstehende Häuser in ihrer Außenstelle auf der Brettachhöhe für die Unterbringung von Geflüchteten an. Nach einem Telefonat mit Michael Düring, dem Immobilien-Manager von Weckelweiler, besichtigte er noch am selben Tag die Häuser, „das war für mich ein unglaublicher Moment“, berichtet Patrick Staack von seinen damaligen Gefühlen. „Hier werden viele Menschen Platz zum Wohnen und Leben finden.“ Schnell wurden sie sich einig und die Schlüssel für die Häuser wurden übergeben.
Schon am nächsten Tag überschlugen sich die Ereignisse: Als sich herumgesprochen hatte, dass Frauen, Männer und Kinder aus der Ukraine erwartet wurden, waren viele Gerabronnerinnen und Gerabronner vor Ort, um die Räume zu säubern und sie mit schnell organisierten Möbeln wohnlich zu gestalten. Als am Sonntagnachmittag die Geflüchteten ankamen, waren die Zimmer möbliert, die Bäder mit Handtüchern und Hygieneartikeln ausgestattet sowie die Kühlschränke gefüllt. Auf den Tischen standen Blumensträuße als herzliches Willkommen und als Ablenkung von den traumatischen Erlebnissen durch den russischen Angriffskrieg in ihrer Heimat. „Für uns war das ein kleiner Schritt, mit dem wir viel erreichen können“, kommentiert Steffen Koolmann die Entscheidung. „Die leerstehenden Häuser wurden so wieder mit Leben gefüllt.“
In der WhatsApp-Gruppe denkt ein Netzwerk von rund 100 Personen mit. Der harte Kern von 20 aktiv Mitarbeitenden organisiert sich über einige Untergruppen für Ausstattung, Lebensmittel, Organisation und Freizeitaktivitäten. Zu Beginn waren manche aus dem erweiterten Netzwerk etwas übermotiviert und wollten schnell ihre angestaute Hilfsbereitschaft an die Frau und an den Mann bringen. Mit der Zeit spielten sich die Abläufe ein und jeder hatte eine Möglichkeit gefunden, seinen Teil zur Unterstützung der Menschen beizutragen. „Die Zusammensetzung der Gruppe hat sich im Laufe der Wochen auch geändert“, erzählt Maria Milash, „Leute haben uns verlassen, neue sind dazugekommen“. Nicht nur sie und ihr Mann Konstantin, sondern auch viele der Helfenden genießen die verbindende Art der Zusammenarbeit. Sie hätten sich ohne das gemeinsame Ziel, den Geflüchteten eine neue, wenn auch nur vorübergehende Heimat zu schaffen, nicht kennengelernt.
Hilfe kommt nach wie vor von verschiedenen Seiten und durch ein großes Netzwerk: Die Konfirmandinnen und Konfirmanden aus den vier Gerabronner Kirchengemeinden halfen beispielsweise mit, die Häuser wohnlich zu gestalten. Andere organisierten zusammen mit Monique Staack innerhalb von nicht einmal 24 Stunden eine gut ausgestattete Kleiderkammer im evangelischen Gemeindehaus. Gerabronnerinnen und Gerabronner mit den unterschiedlichsten Wurzeln engagieren sich und tragen ihren Teil bei.
Im Laufe der nächsten Tage und Wochen kamen weitere Ukrainerinnen und Ukrainer, teils waren es Verwandte oder Freunde von den schon angekommenen, teils haben sie gehört, dass sie in Hohenlohe zur Ruhe kommen können. Der Gruppe wurden weitere Möglichkeiten für die private Unterbringung angeboten. Seitdem sind in ganz Gerabronn Wohngemeinschaften in Häusern entstanden oder die Geflüchteten wurden sogar in der eigenen Wohnung untergebracht.
Auch das Azurit Seniorenzentrum hat Platz: „Durch unsere Umbauarbeiten hatten wir fast eine ganz Etage frei, die wir gerne für die geflüchteten Familien zur Verfügung stellen“, erklärt Hausleiter Dieter Reipert. So sind derzeit 17 Personen in acht Zimmern mit einer eigenen Küche und Aufenthaltsraum in der 3. Etage untergebracht. Durch einen separaten Eingang kommen die neuen Gäste nicht mit den Senioren in Kontakt, „sie haben ihr eigenes Reich“.
Wer Wohnraum wie die Weckelweiler Gemeinschaften oder das Azurit Seniorenzentrum zu Verfügung stellt, erhält vom Landkreis eine Miete nach den Regeln des Asylbewerberleistungsgesetzes. Dafür müssen sich die Geflüchteten zunächst registrieren lassen: Denn im Gegensatz zu den „offiziellen“ in der Landkreis-Unterkunft, sind alle anderen „privat“ untergebracht und somit noch nicht registriert, wenn sie ankommen. Die Helfenden haben auch das organisiert: Mehrmals mussten sie die Ukrainerinnen und Ukrainer nach Schwäbisch Hall zur Ausländerbehörde fahren, oft ein schwieriges Unterfangen, das stundenlang gedauert hat. Aber die Abläufe haben sich auch dort eingespielt und in der Zwischenzeit können manche Dinge sogar per E-Mail erledigt werden.
„Wir sind sehr froh, dass wir die vielen Helferinnen und Helfer haben, die viel mehr machen als es eine Behörde leisten könnte“, freut sich Bürgermeister Christian Mauch. „Besonders Patrick Staack koordiniert die vielen Ehrenamtlichen hervorragend, eine Mammutaufgabe.“ Der Bürgermeister lobt das gute Miteinander und die seit 2015/2016 bestehenden Strukturen des Vereins Füreinander, auf die jetzt wieder zurückgegriffen werden konnte. „Gemeinsam lösen wir viele Dinge sehr pragmatisch im Sinne der Leute.“ Die Stadt habe einen großen Anteil an der Unterbringung der Geflüchteten: Von den gut 1300 im Landkreis sind alleine 113 in Gerabronn untergekommen.
Nachdem erst einmal viel Zeit für Organisatorisches aufgewandt werden musste, normalisiert sich das Leben der Geflüchteten allmählich: Ab Montag gehen acht ukrainische Kinder und Jugendliche aus Gerabronn nach Schrozberg in die Klassen fünf bis zehn der dortigen Schule – Rektorin Stefanie Korder machte es möglich. Seit Kurzem gibt es regelmäßigen Deutschunterricht für die Erwachsenen. Außerdem sind Ausflüge in den Wildpark nach Bad Mergentheim, ins Bowling-Center und zum Indoor-Spielplatz nach Crailsheim geplant. Die Helfenden wollen den Ukrainerinnen und Ukrainern nach ihren schweren Erlebnissen Möglichkeiten für eine Ablenkung bieten.
Die in Gerabronn lebende Ukrainerin Oxana Hornung und Luba Hartwich, die beide als Unterstützerinnen buchstäblich das Sprachrohr der Geflüchteten sind, berichten von deren Reaktion: „Sie sind überwältigt von der hiesigen Hilfsbereitschaft.“ Sie empfinden die Unterbringungen wie das „Paradies“. Mit anderen Ehrenamtlichen haben sich – trotz der Verständigungsschwierigkeiten – so etwas wie Freundschaften entwickelt. Und die Ukrainerinnen und Ukrainer geben den großen Dank für diesen enormen Einsatz gerne zurück: Wenn sich der Unterstützerkreis trifft, steht immer Tee, Kaffee, Kuchen und frisch gekochtes Essen auf dem Tisch. Und an Ostern haben sie einen Brunch für alle organisiert, „das war ein Riesen-Fest“, erzählen die Helferinnen und Helfer – ihr Engagement kommt an und wird geschätzt. th